Sabine Paulsen
Nachhaltigkeit weiterdenken,
Synergien schaffen, neue Wege gehen:
Im Interview spricht Sabine Paulsen über ihren Weg in den nachhaltigen Modehandel, die Herausforderungen beim Betreiben eines Onlineshops in Zeiten von Ultra-Fast-Fashion und ihre neue Rolle als Geschäftsführerin bei MaxTex. Sie teilt wertvolle Einblicke, was es wirklich braucht, um nachhaltige Mode voranzubringen – und warum wir definitiv nicht das nächste weiße Bio-T-Shirt brauchen.

Hallo Sabine, ich habe ein bisschen recherchiert, bevor wir uns getroffen haben – und ich bin beeindruckt, was du alles auf die Beine gestellt hast, neben deinem „Fair Fashion“-Podcast. Du hast eine Schneiderlehre gemacht, Modedesign studiert, betreibst den Onlineshop Jesango, organisierst die Green Fashion Touren in Hamburg und bist Geschäftsführerin von MaxTex. Wow!
Wie würdest du deinen beruflichen Weg in drei Worten beschreiben?
Das ist gar nicht so einfach, da muss ich wirklich kurz überlegen. Ich bin ja schon ein paar Jahre beruflich unterwegs. Aber ich würde sagen: kreativ, vielseitig und werteorientiert.
Kreativ – weil ich aus dem kreativen Bereich komme und gerade der Nachhaltigkeitssektor so viel kreatives Potenzial hat. Er ist ständig im Wandel, man kann sich Aktionen und Kommunikationsformen überlegen: Wie will ich Nachhaltigkeit transportieren – durch Storytelling, durch Aktionen? Bei einem vorherigen Arbeitgeber zum Beispiel haben wir „Fact Sheets“ für die Fabrikanten erstellt, mit unseren Werten und Leitlinien.
Vielseitig – weil ich es immer geliebt habe, Neues zu lernen. Alle zwei Jahre kam bei mir oft der Punkt, an dem ich dachte: Jetzt kann ich alles – und dann wollte ich wieder etwas dazulernen. Das mache ich bis heute, etwa durch Workshops oder Kurse, die ich nebenbei gebe.
Und werteorientiert – seitdem ich in der Fair-Fashion-Blase angekommen bin, habe ich das sehr bewusst gewählt. Ich war 13 Jahre lang bei einem Textilimporteur mit Kunden, die zwar gern nachhaltig wirken wollten, es aber nicht wirklich umgesetzt haben. Das hat irgendwann nicht mehr zu meinen eigenen Werten gepasst. Ich bin froh, dass sich das in meinem Leben verändert hat.
Wie bist du ursprünglich zur Mode gekommen – und wann kam das Thema Nachhaltigkeit dazu?
Mode war schon immer mein Thema. Mit 13 oder 14 wusste ich, dass ich Modedesign studieren will – und ich habe damals sogar Karl Lagerfeld einen Brief geschrieben, ihn gefragt, wie man Modedesignerin wird und ob er Tipps hat. Als Adresse stand einfach: „Karl Lagerfeld, 2000 Hamburg“. Der Brief kam natürlich zurück – also musste ich mich anders informieren.
Meine Mutter war Schneiderin und hat bei Lucia gearbeitet, dadurch habe ich früh mit dem Nähen angefangen. Es gab für mich nie einen Zweifel, dass ich in die Mode will. Also bin ich nach Hannover zur FADM, einer Modeschule für Modedesign, gegangen. Dort hatten wir Praxis, Theorie und jede Woche Berufsschule. Danach habe ich Praktika in Hamburg gemacht – und bin geblieben.
Das Thema Nachhaltigkeit kam 2013, nach dem Einsturz von Rana Plaza. Seitdem bin ich immer tiefer in die Fair-Fashion-Welt eingetaucht – durch die Green Fashion-Touren von COSH!, den Podcast und den Onlineshop. Dafür bin ich sehr dankbar.

Du hast den Fair-Fashion-Podcast gestartet – was war deine Motivation dahinter?
Das war während Corona. Ich hatte Zeit – und wollte mich einer digitalen Herausforderung stellen. Ich war damals Mitglied in einem Female Business Club, der das Format „Wie mache ich einen Podcast“ angeboten hat. Also habe ich mir ein Mikrofon gekauft, Software heruntergeladen und überlegt: Welches Thema beschäftigt mich am meisten?
Ziemlich schnell war klar: Nachhaltigkeit. Ich hatte damals schon die Green Fashion Touren gemacht und gemerkt, dass ich bestimmte Dinge immer wieder erkläre – weil sie einfach wichtig sind. „Spread the word“, sage ich gern. Es reicht nicht, diese Themen einmal anzusprechen – man muss sie immer wieder präsent machen. Das ist auch die Hauptaufgabe meines Podcasts: Nachhaltige Mode in die Breite tragen.
Eine Interviewpartnerin hat das mal treffend gesagt: „Wir sind in unserer Blase sehr tief im Thema – aber die Blase wird nicht größer.“ Genau da möchte ich ansetzen. Mehr Menschen informieren, inspirieren – und dazu beitragen, dass sie ihr Konsumverhalten überdenken und bewusster leben.
Welches Gespräch im Podcast ist dir besonders in Erinnerung geblieben?
Es gibt viele tolle Gespräche, aber besonders beeindruckt hat mich das Interview mit Vaude. Diese deutsche Outdoor-Marke ist nicht nur innovativ, sondern verfolgt das Thema Nachhaltigkeit wirklich von Grund auf. Ein echtes Vorzeigeunternehmen!
Sehr spannend fand ich auch das Gespräch mit Maria Seifert, die ihre eigene Produktionsstätte in Deutschland betreibt – sowohl für ihre eigene Kollektion als auch für andere Labels. Sie hat die Produktionsstätte von einer Frau übernommen, die aufgehört hat – ein sehr inspirierender Lebensweg.

Wie hast du dich im Laufe deiner Karriere in der Modebranche vernetzt?
Lange Zeit war das ehrlich gesagt nicht meine Stärke. Das hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt – vor allem über LinkedIn oder bei Veranstaltungen, auf denen ich beruflich unterwegs war. Durch die Green Fashion Tour ist mein Netzwerk nochmal stark gewachsen – durch die vielen Läden und Marken, die daran teilgenommen haben. Auch meine Arbeitgeber und meine Arbeit bei Audits und Zertifizierungen haben da viel beigetragen.
2018 bin ich dem Female Business Club beigetreten – und das war ein echter Wendepunkt. Anfangs ist da eine gewisse Hemmschwelle: Wen spricht man an, wie spricht man jemanden an, wenn man allein auf einer Veranstaltung ist? Aber genau das habe ich dort geübt – und viele Menschen kennengelernt, auch außerhalb der Mode- und Nachhaltigkeitsszene.
Bei den Treffen waren oft 80 Teilnehmerinnen aus ganz verschiedenen Branchen dabei. Ich glaube, Netzwerken muss man einfach ein bisschen üben – und wir Frauen sind da schon besser geworden. Wobei: Auch das verändert sich wieder.
Durch Corona ist vieles eingeschlafen, das merke ich schon.
Grundsätzlich gibt es mittlerweile sehr viele Frauennetzwerke – fast schon zu viele. Manchmal fühle ich mich ein wenig überfordert von dem Überangebot, weil ich gar nicht mehr alles wahrnehmen oder filtern kann.
Wie war die Gründung von Jesango – und was war deine Vision?
Wir haben Jesango tatsächlich nicht selbst gegründet. Mein Mann und ich haben 2021, während der Corona-Zeit, über den Female Business Club erfahren, dass der Onlineshop zum Verkauf steht. Ursprünglich wurde er von drei Frauen aufgebaut – eine davon war ebenfalls im Club aktiv. Da ich in dem Jahr gerade meinen Podcast gestartet und die Green Fashion Touren in Hamburg ins Leben gerufen hatte, dachten wir: Das passt wunderbar! Wir sahen sofort Potenzial für schöne Synergien.
Wir haben einige Dinge aus dem bestehenden Konzept übernommen, aber auch neue Labels aufgenommen – darunter auch Marken aus Hamburg, die wir persönlich gut fanden. Die Grundidee war die gleiche wie bei meinen anderen Projekten: mehr Sichtbarkeit für nachhaltige Labels zu schaffen – über den Shop, den Podcast und die Touren.
Jetzt sind bereits vier Jahre vergangen. Und wir haben entschieden, den Shop nach und nach einzustellen. Wir mussten feststellen, dass es neben unseren Hauptjobs einfach nicht im gewünschten Umfang zu stemmen ist. Wir haben alles zu zweit gemacht – da bleibt zwangsläufig einiges auf der Strecke.
Trotzdem war es eine sehr wertvolle Erfahrung, die mir in meinem heutigen Job sehr zugutekommt. Ich hoffe, dass wir in dieser Zeit auch den Marken ein wenig mehr Sichtbarkeit geben konnten – durch unseren Instagram-Account, Newsletter, LinkedIn, Facebook. Wir waren präsent – aber um mit einem Anbieter wie Avocadostore mithalten zu können, braucht es ganz andere Kapazitäten. Dafür hätten wir uns vollständig darauf konzentrieren müssen.
Während der Pandemie lief der Shop super. Aber heute sehen wir – wie bei vielen im Einzelhandel auch – wie schwierig es geworden ist. Dazu kommt der Boom von Ultra-Fast-Fashion. Es war eine gute Zeit, wir haben viel gelernt – aber jetzt ist es auch gut so.
Wie habt ihr den Onlineshop beworben? Und wie lief das mit Warenwirtschaft, Einkauf und Versand?
Unser Shopsystem ist bei Shopify – ein Tool, mit dem man sehr viel selbst abbilden kann: Rechnungen, Lieferscheine, Newsletter, etc. Mein Mann hat sich vor allem um die technische Seite gekümmert, da er IT-affin ist.
Ich war hauptsächlich für das Marketing zuständig – wobei ich sagen muss, eher zurückhaltend. Den Instagram-Algorithmus habe ich bis heute nicht ganz verstanden. Vieles lief nach dem Prinzip Learning by Doing: Social-Media-Posts, Newsletter, ein Pop-up-Event – wir haben uns vieles selbst beigebracht. Und genau das hilft mir jetzt in meinem aktuellen Job enorm weiter.
Welche Herausforderungen begegnen dir als Unternehmerin im nachhaltigen Modehandel?
Leider ist der Preis nach wie vor das entscheidende Kaufkriterium – stärker noch als früher. Es gab eine Phase, in der Nachhaltigkeit mehr im Vordergrund stand, aber das hat sich wieder gewandelt. Viele Konsument:innen schauen in erster Linie auf den Preis – alles andere ist zweitrangig. Nachhaltigkeit ist dann ein schöner Zusatz, aber nicht der Hauptgrund für den Kauf.
Ich finde das Buch „Das 60% Potential“ in dem Zusammenhang sehr spannend. Es beschreibt eine Theorie, nach der die Bevölkerung in drei Gruppen unterteilt werden kann: Etwa 20 % der Menschen kaufen bewusst nachhaltig – das sind die „Ökos“. Weitere 20 % interessiert das Thema gar nicht. Und dazwischen liegen 60 %, die zwar nicht gezielt nach nachhaltigen Produkten suchen, aber diese durchaus kaufen würden, wenn Preis, Design und Nutzen stimmen. Genau diese große Gruppe muss man erreichen – und das ist die eigentliche Herausforderung.
Herzlichen Glückwunsch zu deiner neuen Rolle als Geschäftsführerin bei MaxTex. Was reizt dich an der neuen Aufgabe?
Vielen Dank! Für mich ist es vor allem der Reiz, etwas Neues zu lernen. Ich komme aus der Fashion-Branche, und bei MaxTex bewege ich mich nun im B2B-Bereich – konkret in den Themenfeldern Arbeitskleidung, Arbeitsschutz, Sicherheitsbekleidung. Das ist eine ganz andere Sparte, in die ich mich mit großem Interesse einarbeite.
Besonders spannend finde ich, für einen Verband zu arbeiten und diesen strategisch weiterzuentwickeln. MaxTex hat großartige Mitgliedsunternehmen – viele davon arbeiten seit Jahren nachhaltig, nicht weil es ein Trend ist, sondern weil sie es aus Überzeugung tun. Erst im Rückblick wurde deutlich, dass manche Mitgliedsunternehmen schon immer nachhaltig gearbeitet haben – für sie gehörte das einfach dazu. Da können sich viele klassische Modelabels eine Scheibe abschneiden.
Meine Aufgabe ist es unter anderem, diese Unternehmen zu unterstützen, neue Impulse zu setzen und Nachhaltigkeitsthemen gezielt weiterzuentwickeln. Das macht unglaublich viel Freude – ich bin oft wirklich beeindruckt von der Weitsicht und Konsequenz unserer Mitglieder.
Was würdest du jungen Gründerinnen und Designern mit auf den Weg geben, die sich für nachhaltige Mode einsetzen wollen?
Bitte: Macht nicht das nächste weiße Organic-Cotton-T-Shirt! Davon gibt es schon genug. Die Branche braucht neue Ideen – Konzepte, die aus vorhandenen Ressourcen schöpfen. Ich denke da eher in Richtung Upcycling, Deadstock-Verwertung oder innovative Materialien.
Überlegt euch etwas, das wirklich ungewöhnlich ist. Seid mutig, seid kreativ – statt einfach nur das nächste Basic zu entwerfen. Nachhaltige Mode braucht Innovation, nicht Reproduktion.
Wenn du einen Wunsch für die Zukunft der Textilbranche frei hättest– welcher wäre das?
Mein größter Wunsch ist, dass Nachhaltigkeit zum Standard wird – nicht nur ein „Nice-to-have“, sondern ein echtes Must-have. Und dabei geht es nicht um Perfektion. 100 % nachhaltig – das gibt es gar nicht. Nachhaltigkeit ist ein Prozess.
Aber man kann sich als Unternehmen auf den Weg machen, die Themen in die Strategie einfließen lassen, sich Ziele für fünf oder zehn Jahre setzen. Wichtig ist, überhaupt ins Handeln zu kommen. Nachhaltigkeit sollte als wirtschaftlich relevante Maßnahme verstanden werden – mit Wirkung für Mensch, Natur und Unternehmen gleichermaßen.
Wo siehst du die nachhaltige Modebranche in fünf Jahren?
Das ist schwer zu sagen. Ich wünsche mir, dass sie im Aufbruch ist – und dass Nachhaltigkeit irgendwann selbstverständlich ist, gar kein „großes Thema“ mehr.
Aktuell habe ich jedoch das Gefühl, dass wir uns teilweise wieder rückwärts bewegen. Ich habe neulich einen Artikel gelesen mit dem Titel: „Brauchen wir Nachhaltigkeit überhaupt noch?“ – da läuft’s mir kalt den Rücken runter.
Wir leben in einer Zeit multipler Krisen, da rücken andere Themen schnell in den Vordergrund. Aber genau deshalb befürchte ich, dass Nachhaltigkeit immer wieder in Wellen kommt – mal hoch, mal runter. Mein Wunsch und die Realität gehen da gerade ein bisschen auseinander.
Was sind deine Zukunftspläne?
Ich möchte weiter lernen – das ist mir wichtig. Wenn ich mithelfen kann, MaxTex weiter voranzubringen, vielleicht auch europaweit zu etablieren, wäre das großartig. Und ich wünsche mir, dass Nachhaltigkeit nicht länger hinterfragt wird – sondern zur Frage „Wie setzen wir es um?“ übergeht.
Für meinen Podcast wünsche ich mir einen passenden Werbepartner, damit ich die Themen noch sichtbarer machen kann. Und vor allem wünsche ich mir, dass ich weiterhin so viel Freude an meiner Arbeit habe wie gerade. Dass ich Menschen nicht überzeugen muss, sondern inspirieren kann. Das wäre schön.


